Die ersten Einblicke in das Leben von Milton Erickson sollte ich im September 2017 erhalten. Im Rahmen der Hypnoseausbildung, Basismodul 1, IGM Aarau, erfuhr ich als Kursteilnehmerin, dass Erickson an Polyomyelitis (Kinderlähmung) erkrankte und daraufhin eine Zeitlang vom Hals ab gelähmt war. Als ehemalige Pflegefachfrau habe ich so manche Patienten mit den unterschiedlichsten Lähmungserscheinungen gepflegt und dabei auch die tiefe Verzweiflung und Trauer über die Bewegungseinschränkung bei den Betroffenen gesehen. Ich fragte mich daher auch, was die Folgen der Erkrankung für Erickson bedeutet haben musste, denn er verbrachte, wie viele andere Menschen mit Lähmungserscheinungen, einige Zeit seines Lebens in einem Lagerungsstuhl, bei ihm war das ein Schaukelstuhl – er war damals 18 Jahre alt.
«In dieser Zeit der Unbeweglichkeit entwickelte er durch Beobachtung eine neue Form der Hypnosetherapie», hörte ich Frau Prinzing (nachfolgend Barbara Prinzing genannt) weiter erklären. Während ihrer Ausführungen verwies sie uns Kursteilnehmenden auf die Informationen zu dem «Milton-Modell» (Prinzing, 2017, S. 33), in dem von ihr erstellten Skript. Erickson entwickelte dieses Modell als Übersicht verschiedener Sprachmuster, um zum Beispiel «unbewusste Ressourcen zugänglich zu machen und mit diesen zu arbeiten» (in Anlehnung an Prinzing, 2017, S. 33).
Da hatte es mich gepackt: Ressourcenorientierung war mir schon immer wichtig, sei es damals in der Pflege, als Berufsschullehrerin, oder heute als Therapeutin – immer stellten sie einen Schwerpunkt meiner Arbeit dar. Erickson hat mich dazu sensibilisiert, auch in der Hypnosetherapie dem Menschen, der zu mir kommt, seine individuellen Fähigkeiten, bewusst zu machen, oder ihm zu helfen, diese wieder entdecken zu lassen, damit er selbst zur Lösung seiner Probleme beitragen kann.
Ich begann weitere Recherchen über das Leben und Werk von Erickson einzuholen. So erfuhr ich, dass er im Laufe seiner 80 Lebensjahre drei Mal an Poliomyelitis erkrankte, das letzte Mal vier Jahre vor seinem Tod. Während meiner verschiedenen beruflichen Tätigkeiten habe ich zwar Menschen kennengelernt, die mehrmals von der gleichen Erkrankung heimgesucht wurden, aber selten von einem Menschen gelesen, der dabei solch einen unerschütterlichen Kämpfergeist entwickelte. Diesen Eindruck leite ich von den mehrfachen Schicksalsschlägen ab, die Erickson in seinem Leben ereilten. Im Rahmen dieses Artikels greife ich nur einzelne davon heraus, die mich besonders beeindruckt haben.
Dazu zählen folgende Begebenheiten aus seinem Leben: Bedingt durch die erster Polyomyelitis lag Erickson, wie bereits erwähnt, drei Tage im Koma. Nachdem er wieder aus dem Koma erwachte, war er, wie zuvor beschrieben, bewegungsunfähig und verbrachte seine Zeit mit Beobachtung seines Umfeldes und sich selbst. Er begann mit seinen Beobachtungen zu experimentieren: wie würde es sich anfühlen, nach Dingen zu greifen, aufzustehen oder zu gehen? Diese Vorstellungen konnte er so stark intensivieren, dass sich dadurch eines Tages der Schaukelstuhl, in dem er sass, bewegte. Dieses ideomotorische Erlebnis spornte ihn an, weiter zu experimentieren, zu trainieren und Bewegung zu visualisieren, so dass dadurch seine Muskeln stärker wurden. Nach knapp einem Jahr konnte er sich mit Gehhilfen fortbewegen, die er später ganz bei Seite legte – es blieb nur ein unmerkliches Hinken zurück, aber auch chronische Schmerzen, die er bis an sein Lebensende behalten sollte.
Das Jahr 1947 brachte nochmals einen tiefen Einschnitt in seinem Leben mit sich: nach einem Fahrradsturz liess er sich, trotz bekannter Unverträglichkeit gegen den Tetanusimpfstoff, gegen Wundstarrkrampf impfen und erlitt einen anaphylaktischen Schock (Unverträglichkeitsschock) – er überlebte ihn nur knapp. Von da an war er gegen alle möglichen Stoffe allergisch, was einen Umzug in ein milderes Klima der USA, Arizona, zur Folge hatte.
Und ausgerechnet dieser Mann, der sich mit so einschneidenden Erkrankungen auseinandersetzen musste, prägte den Satz «geniesse das Leben und geniesse es gründlich» (Nemetschek, 2011, S. 30) – wie bewundernswert!
Aus seinen Beobachtungen und Erfahrungen während seiner Bewegungseinschränkung entwickele Erickson einen neuen Ansatz in der Hypnose: er wollte für jeden Patienten ein individuelles Vorgehen und für ihn spezifischen Zugang finden: die Wahrnehmung der Menschen, die zu ihm kamen, sollte erweitert werden, in dem es dem Unterbewusstsein möglich sein sollte, durch verbale und non-verbale Techniken die führende Rolle zu übernehmen. Dafür entwickelte er eine eigene Sprache mit subtilen Impulsen- das «Milton Erickson Modell». Ich persönlich liebe Sprachen, weil ich es spannend finde, wie ein Wort, oder eine Betonung bereits einen neuen oder anderen Sinn in einer Aussage formen kann. So lernte ich bei Barbara Prinzing, dass es statt «entspannen Sie sich» – eine hypnotische Aufforderung übrigens, wie sie zum Beispiel von Siegmund Freud vorgenommen wurde -, heisst: «Du wirst bei jedem Atemzug mehr und mehr entspannen können» (ein typischer sprachlicher «Weichmacher», wie Erickson es nennt). Auf das Basismodul 3 freue ich mich daher sehr, da dort dass «Milton-Modell» näher betrachtet wird.
In weiteren Modulen bei Barbara Prinzing lernte ich noch andere dieser spezifischen Formulierungen von Erickson kennen und legte mir darüber bei meiner hypnotischen Arbeit ein «Vokabelheft» zu.: Ich notierte mir die zu verwendenden Sprachmuster, hielt in Stichworten fest, welche Reaktionen sie gemäss Erickson bei den Klienten hervorrufen können und wie die Klienten tatsächlich in meiner Therapie darauf reagiert haben. Die ein oder andere Formulierung hatte ich zwar bereits intuitiv verwendet, war mir aber nicht bewusst, was sie genau bei den Klienten bewirken kann. So begann ich mehr und mehr, die hypnotische Sprache während der Hypnosetherapien einzubauen. Es ist klar, dass dies zu Anfangs etwas «holprig» war, aber so ist das eben mit dem Lernen von Neuem: nichts geht sofort wie «geölt». Aber: nicht aufgeben ist die Devise. Zu Beginn meiner Arbeit mit Hypnosetherapie dauerte es länger als heute, bis sich die Gesichtszüge meiner Klienten entspannten, ihre Atmung ruhiger und tiefer wurde und sie in Trance eintauchen konnten.
Während meiner weiteren Suche nach Literatur über Milton Erickson fand ich das Buch «Hypnosetherapie – Aufbau – Beispiele – Forschungen». Mir fiel auf, dass auch dieses Buch, sowie auch weitere seiner Bücher, einen violetten Einband hat. Da fragte ich mich, ob das Zufall war, oder bewusst gewählt. Eine mögliche Antwort erhielt ich von einer Internetseite: Milton Erickson trug nur violette Kleidung – vielleicht «kleidete» er seine Bücher auch violett ein?
Milton Erickson wurde am 5. Dezember 1901 in Nevada geboren. «Seine Vorfahren väterlicherseits waren norwegische Einwanderer», jetzt ist mir auch klar, wie Erickson als Amerikaner zu diesem Namen kam. «Milton war stolz darauf, dass in seinem Blut etwas Wikinger-Blut vom Vater und Indianer-Blut von der Mutter floss.» (Nemetschek, 2011, S. 14).
Ob im Studium der Psychologie, in verschiedenen Positionen als Arzt, als Professor für Psychiatrie, als Arzt in seiner eigenen Praxis oder auf Vortragsreisen, immer stand für Milton Erickson der Mensch im Mittelpunkt und die Erforschung der Bedeutung vom Trancezustand, zur Bewusstwerdung innerer vorhandener Ressourcen. Er wurde einmal gefragt, was denn Hypnose eigentlich ist. Seine Antwort war «dies wirst Du nur in einer Trance herausfinden»
In dem bereits oben erwähnten Buch von Peter Nemetscheck «Milton Erickson lebt», ist ab Seite 200 das private Leben von Milton Erickson beschrieben, worauf ich aber hier nicht näher eingehen möchte – würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur so viel: er muss ein Familienmensch gewesen sein, da er mehrere Kinder aus zwei Ehen hatte. Er starb am 25. März 1980 in Arizona (Nemetschek, 2011, S. 30).
Für mich persönlich und auf meinem Weg zum Hypnosecoach, war Milton Erickson ein Mensch, vor dessen Werk ich mich tief verneige. Nach ihm gilt es, nicht müde zu werden, die verborgenen Fähigkeiten des Menschen, der uns in der Therapie gegenübersitzt, zu erwecken oder wiederfinden zu lassen, ihnen diese bewusst – und für ihre individuellen Probleme und Lebenssituationen nutzbar zu machen.
So wird Milton Erickson auch noch weiter meine Arbeit in der Hypnosetherapie prägen – die in diesem Artikel beschriebenen Beispiele sind lediglich einige Situationen, in welchen dies bereits bei mir begonnen hat. Im Rahmen meiner weiteren Hypnoseausbildung werde ich noch tiefer in die Milton’sche-Hypnosetherapie eintauchen und in meiner Arbeit anwenden, auf das ich mich sehr freue.
Literaturquellen:
Nemetschek, Peter. (2011). Milton Erickson lebt. (1. Aufl.). Stuttgart: Klett-Kotta
Prinzing, Barbara. (2017). Hypnosetherapie, Basismodul 1. (2017). Aarau: IGM
Täuber, Marcus. (2020). Gedanken als Medizin. (1. Aufl.). Berlin: Goldegg
Margrit Cofalka, Steffisburg, November 2020
Bild von photosforyou auf Pixabay
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